Meine Freundin Charlotte von Elisabeth Schawerda

Wir lernten einander in meinem Garten kennen . Charlotte fotografierte und zeichnete , nicht nur die schöne Landschaft der Thermenlinie im Süden Wiens , sondern auch die Steine der Trockenmauer und die sommerlichen Gräser, so genau, als wäre sie jedem einzelnen Halm zu Wahrhaftigkeit verpflichtet. Damals waren wir jung, lebten mit unseren Kindern und versuchten konsequent, unsere Begabungen zu entwickeln.

Als sie mich später in ihr Atelier im obersten Stockwerk eines Innenstadthauses in der Weihburggasse einlud , war ich erstaunt und beeindruckt . Großformatige Bilder lehnten überall , Grasbüschel und Schilf , in die der Wind eingebrochen war, und üppige Blüten. Welch eine Arbeit und welch ein Wille steckten darin! Charlottes Atelier roch angenehm nach Farben und Firnis , aber wenn man die Bilder betrachtete , glaubte man die Düfte der freien Natur zu spüren.

Wieder später nahm mich Charlotte zu einer Ausstellung über japanische Kalligraphie mit . Ohne sie hätte ich diese vielfältigen schwarzen Zeichen nicht interessant gefunden. Aber sie war fasziniert und öffnete auch mir die Augen für die Schönheit und Kraft dieser Kunst. Der Kontrast zu ihren großen Blütenbildern hätte stärker nicht sein können. Und dennoch gab es eine innere Logik.

Diese begriff ich , als sie mich Jahre später an ihrer Arbeit für das Wiener SPARDAT-Gebäude von Artur Paul Duniecki teilnehmen ließ . Meine Teilnahme bestand im Mitdenken und in Gesprächen. Es gehörte zu dem Besonderen unserer Freundschaft, dass unsere Gespräche immer wie sich entfaltende Inspirationen abliefen. Es war immer ein Gewinn für uns beide, beisammen zu sein.

In ihrem SPARDAT-Konzept entfaltete Charlotte die Spannweite ihrer künstlerischen Seele. Sie hatte ein großes Klettenblatt auf dem Baugrund gepflückt, noch vor dem ersten Spatenstich. Sie trocknete es und rahmte es. So aufrichtig, so konkret und unmittelbar führte ihr Weg vom objet trouvé über das ›naturgetreue‹ Wandbild zu den Chiffren. Eigentlich war es kein linearer Weg, sondern eine verzweigte Gleichzeitigkeit. Denn bei Charlotte ist alles ›naturgetreu‹, auch wenn die Wirkung abstrakt sein mag.

Ich war erstaunt über die Intensität und Hingabe , mit der Charlotte an diesen scheinbar abstrakten Zeichen arbeitete. Die Blattadern , die Lebenslinien der Pflanzen , die Spuren des Lebens an Fundstücken am Strand – sie hatte den Blick der archaischen Sammlerin, die das sieht, woran wir vorbei gehen , es aufhebt , wendet und die eingekerbte Schrift des Schicksals , der Biografie dieses Fundstücks liest. Sie wurde von der Größe der kleinen Dinge angeregt und verfolgte sie bis in den Kern des Wesentlichen hinein.

Unvergesslich ist mir der Tag mit Charlotte an einem kleinen Teich in den Donauauen der Lobau. Sie hatte ihre Kamera in ein Plastikgefäß gestellt, um von der Wasserfläche aus fotografieren zu können. So schwammen wir zwischen den Seerosen umher, auf den im Wasser gespiegelten Wolken , durch das Geflimmer der ›Wasserschriften‹. Es war ein sehr glücklicher Tag.

Meine Erinnerungen an Charlotte enthalten eine Reihe solch glücklicher Tage. Unsere gemeinsame Reise an die untere Donau in die Urlandschaft des Binnendeltas der Draumündung mit allem , was wir dort erlebten , den Menschen , dem Dorf , der Landschaft , bleibt mir gegenwärtig in allen Details. Mit ihr beisammen zu sein bedeutete, Schönheit, die man noch nicht wahrgenommen hatte, zu erleben und Bekanntes neu zu sehen. Sie machte das Besondere im Alltäglichen deutlich und gab ihm die angemessene Form. Ich glaube, ihre Kunst , das ist tiefe Emotion und liebende Achtung vor allem Lebendigen.

 

Elisabeth Schawerda